Parteitag der Grünen: „Wir werden jetzt dieses Land auf Vordermann bringen“

[ad_1]

Die Grünen präsentieren sich bei ihrem Parteitag als trotzige, von sich selbst ergriffene Partei. Immerhin: 100 Tage vor der Bundestagswahl gelingt der Versuch Geschlossenheit zu demonstrieren.

Um 22.40 Uhr ist auch das Thema Migration vom Tisch. Nach Abstimmungen über ein Tempolimit auf der Autobahn (130 bleibt das Ziel, nicht 120), Schuldenbremse (soll reformiert, nicht abgeschafft werden), einen AfD-Verbotsantrag (wird unterstützt) beschließen die rund 800 Delegierten des Grünen-Parteitags, dass „der Bundeskanzler ein Gremium einsetzen sollte, das mit Experten aus Wissenschaft und Forschung Antworten auf brennende Fragen entwickelt und diese Antworten in den politischen Prozess bringt.“ Einstimmig.

Die Zerreißprobe, die manche Grüne im Vorfeld dieses Parteitags und damit vor der Neuwahl des Bundestags bei diesem Tagesordnungspunkt befürchtet hatten, ist vermieden. Kurzer Beifall im „Rhein-Main-Kongresscenter“, dann geht‘ nach nebenan zur Parteitags-Party mit „DJ Omid“. Noch mal ordentlich feiern, bevor an diesem Sonntag der amtierende Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck zum Kanzlerkandidaten gekürt wird – und sich die Partei in einen Bundestags-Wahlkampf entlässt, dessen Ausgang für die Grünen mehr als ungewiss ist. Die Voraussetzungen jedenfalls sind denkbar schlecht.

Keine andere Partei hat in den vergangenen Wochen, Monaten, drei Jahren mehr Verlierer produziert als die in Wiesbaden versammelten Grünen. An erster Stelle – wer sonst? – Robert Habeck, der schon einmal durch den Annalena-Schredder gedreht worden war, bevor die Ampel überhaupt zu regieren begonnen hatte. Dann kamen Putin, die Wirtschaftskrise, das Heizungsgesetz, der Ampel-Krampf. Rückzug wäre allemal auch eine Möglichkeit gewesen für den Vizekanzler.

Auf der Wiesbadener Parteitagsbühne erscheinen außerdem ein gescheitertes Vorsitzenden-Duo, das mit vielen Tränen, großem Jubel und noch mehr grünem Pathos verabschiedet wird, eine grüne Umweltministerin, die in drei Amtsjahren keine Akzente konnte, eine Familienministerin, die das grüne Herzensprojekt Kindergrundsicherung in den Sand gesetzt hat. Dazu die Spitzenkandidatin eines verkorksten Europa-Wahlkampfs sowie ein Häuflein ostdeutscher Wahlkämpfer, das in zwei Bundesländern aus den Landtagen geflogen ist und im dritten aus der Regierung. Das Ganze flankiert von einem grünen Jugendverband, der sich schon vor der Ampel-Bruchlandung in seine Einzelteile zerlegt hat.

Insofern ist es erstaunlich und nachvollziehbar zugleich, wie trotzig, selbstverliebt und auch ein bisschen größenwahnsinnig sich die Grünen bei ihrer 50. Bundesdelegierten präsentieren. „Wir werden jetzt dieses Land auf Vordermann bringen“, verspricht die neue Parteichefin Franziska Brantner, bisher Staatssekretärin im Bundeswirtschaftsministerium. „Wir können verdammt stolz auf uns sein“, prahlt Brantners ebenfalls frisch gewählter Co-Vorsitzender Felix Banaszak im TV-Interview und kündigt ein großes Comeback an: „Wir wollen weiter gestalten, weiter Verantwortung übernehmen und auch regieren.“

Die Grünen, trommelt der gerade zurückgetretene Omid Nouripour, „werden gebraucht wie noch nie“. Bei zehn bis zwölf Prozent steht die Partei in den Umfragen. Sie wird den Wählern in den kommenden 14 Wochen noch gut erklären müssen, worin genau ihre Unverzichtbarkeit besteht.

In Wiesbaden werden zumindest einige Gründe genannt. Der klare Kurs, den die Partei seit dem Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine hält und für den sie von Parteitagsgast Wolfganger Ischinger, dem früheren Chef der Münchner Sicherheitskonferenz, hochgelobt werden. Der Klimaschutz natürlich, den die anderen Parteien aus Sicht der Grünen rückabwickeln wollen und der, so fordert es Fridays-for-Future-Frontfrau und Grünen-Mitglied Luisa Neubauer, das zentrale Thema des grünen Bundestagswahlkampfs werden müsse. Die Vernachlässigung der Infrastruktur des Landes und die Abhängigkeit von russischem Gas, die die großen Koalitionen von Union und SPD verschuldet hätten.

Warum Robert Habeck „so viel Kraft und Energie gebraucht habe, um uns aus dieser Abhängigkeit zu befreien“, fragt Annalena Baerbock in ihrem Parteitagsbeitrag und antwortet umgehend selbst: „Weil die anderen nicht mitgemacht haben, weil die ihren Job nicht gemacht haben und nicht auf unsere europäischen Nachbarn gehört haben.“ Großer Jubel der gut 800 Parteitagsdelegierten.

Es gibt auch ein paar, wenige, selbstkritische Töne. So mahnt die in Wiesbaden als Parteichefin verabschiedete Ricarda Lang mit drastischen Worten mehr Bürgernähe an. „Wir Grüne können uns das mit der Mitte der Gesellschaft in die Haare schmieren, solange wir als Elitenprojekt wahrgenommen werden.“ „Selbstkritik“, sagt Annalena Baerbock, „gehört in solchen Zeiten auch dazu“, führt dann aber nicht weiter aus, was genau es denn zu kritisieren gäbe.

„Wir haben Fehler gemacht“, gesteht Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir – und führt dann doch erst einmal die Fehler der ehemaligen CSU-Verkehrsminister Andreas Scheuer, Alexander Dobrindt und Peter Ramsauer auf. Immerhin: In der Migrationspolitik, das schreibt Özdemir dem Parteitag ins Stammbuch, müsse es neben großer Humanität eben immer auch „klare Regeln – und wer die Regeln nicht einhält, hat die Konsequenzen zu tragen. So einfach können die Dinge manchmal sein. Aber dann muss man sie auch so einfach und so deutlich aussprechen.“

Ganz so weit sind die Grünen noch nicht. Ein vor allem von grünen Kommunalpolitikern unterstützter Antrag, der sich unter anderem für stringentere Regeln bei der Zuwanderung und Terrorismusbekämpfung, mehr mobile und stationäre Grenzkontrollen sowie deutlich kürzere und straffere Aufnahmeverfahren einsetzt, schaffte es in Wiesbaden nicht auf die Tagesordnung.

An diesem Sonntag geht der Grünen-Parteitag mit der Nominierung von Robert Habeck zum „Kandidaten für die Menschen in Deutschland“ zu Ende. Er wird dabei absehbar die ganz großen Räder drehen. Deutschlands, Europas Rolle in der Welt. Trump, Putin, dazu die soziale Gerechtigkeit, die Energiepreise, die er für Verbraucher und Wirtschaft massiv senken will nach einem für die Grünen erfolgreichen Wahlausgang. Die Gefahr, dass Habeck in seiner Nominierungsrede zu selbstkritisch auftritt, besteht nicht.

[ad_2]

Source link